„Cicero“ erhebt schwere Vorwürfe

Beim Atomausstieg getrickst? Bundes­regierung weist Magazinbericht entschieden zurück

Das Magazin „Cicero“ erhebt schwere Vorwürfe gegen die Leitungsebene im Wirtschaftsministerium.

Das Magazin „Cicero“ erhebt schwere Vorwürfe gegen die Leitungsebene im Wirtschaftsministerium.

Berlin. Die Vorwürfe wiegen schwer. Getrickst, getäuscht und manipuliert haben sollen die grün geführten Ministerien für Wirtschaft und Umwelt im Frühjahr 2022, als es um eine mögliche Verschiebung des deutschen Atomausstiegs gegangen ist – so behauptet es das konservative Magazin „Cicero“ in seiner neuesten Ausgabe. Das Magazin beruft sich auf interne Dokumente und E-Mails, deren Herausgabe die Redaktion vor Gericht erstritten hatte.

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Gegenstand der inter- und intraministeriellen Kommunikation war die nach dem russischen Überfall auf die Ukraine und der folgenden Energiekrise drängende Frage, unter welchen Bedingungen die damals noch am Netz befindlichen letzten drei deutschen Atomkraftwerke einen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten können. „Cicero“ will ein Netzwerk „grüner Parteisoldaten“ in den Führungszirkeln der Ministerien ausgemacht haben, die die seinerzeit laufende Prüfung beeinflusst hätten. Missliebige Einschätzungen und Vermerke der Fachabteilungen seien ignoriert oder umgeschrieben worden, so das Magazin. Ziel sei es gewesen, den Atomausstieg um jeden Preis zum 1. Januar 2023 durchzusetzen.

Die betreffenden Beamten, „Cicero“ nennt namentlich den seinerzeit für Energie zuständigen und inzwischen entlassenen Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen sowie dessen für Reaktorsicherheit zuständigen Kollegen im Umweltressort, Stefan Tidow, hätten teilweise sogar den eigenen Ministern Informationen vorenthalten und so nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Bundesumweltministerin Steffi Lemke (beide Grüne) in die Irre geführt.

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Regierung widersprich vehement

Beide Ministerien widersprechen vehement. „Die Darstellung ist verkürzt und ohne Kontext, und entsprechend sind die daraus gezogenen Schlüsse nicht zutreffend“, teilt das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) auf Anfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) mit. Das BMWK habe sich seit Ausbruch des russischen Angriffskrieges immer wieder mit der Frage beschäftigt, ob und inwiefern eine Laufzeitverlängerung der drei noch laufenden deutschen Atomkraftwerke in der Krisensituation helfen kann, die Energiesicherheit zu erhöhen, so eine Sprecherin. „Diese Prüfung erfolgte stets ergebnisoffen und transparent.“

Zu Nutzen, Risiken und Hürden einer möglichen Verlängerung des Betriebs der deutschen Kernkraftwerke habe innerhalb des Ministeriums, innerhalb der Bundesregierung sowie mit den Kraftwerksbetreibern und auch in der Öffentlichkeit eine breite Diskussion stattgefunden, in deren Rahmen verschiedene Argumente gehört und erwogen worden seien. „All diese Argumente sind in den Abwägungsprozess, die Meinungsbildung und die Ergebnisse eingeflossen“, heißt es aus dem Haus von Robert Habeck. Maßgabe aller Entscheidungen sei immer die Versorgungssicherheit gewesen.

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Auch das Umweltministerium bestreitet den „Cicero“-Bericht mit Nachdruck. Der 2011 beschlossene Atomausstieg und damit das Ende des Betriebs der Atomkraftwerke Anfang 2023 sei zum Zeitpunkt der Prüfung geltendes Recht gewesen. Der Prüfprozess in der Folge des Ukraine-Krieges sei „sorgfältig und ausschließlich sachorientiert“ erfolgt.

Dass es im Laufe des Prüfprozesses verschiedene Einschätzungen der Fachebenen gegeben habe, führt die Bundesregierung auf verschiedene Informationsstände der einzelnen Abteilungen zurück. Die Lage habe sich während der Prüfung mehrfach geändert – nicht zuletzt durch immer neue Äußerungen der Betreiber. Redaktionelle Änderungen beim Erstellen eines ressortübergreifenden Berichts seien normales Regierungshandeln. Dass angeblich falsche Informationen weitergeleitet wurden, weist die Bundesregierung energisch zurück. „Hier liegt offenkundig ein medienseitiges Missverständnis vor“, erklärte ein Sprecher des Umweltministeriums. Tatsächlich seien Korrekturhinweise der Atomaufsicht in den Prüfvermerk eingearbeitet worden, der genau zu diesem Zweck als Entwurf an die Behörde übermittelt worden sei.

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Sondersitzungen am Freitag

Der Oppositionen reichen diese Erklärungen nicht. Auf Antrag der Unionsfraktion kommen die Bundestags-Ausschüsse für Klimaschutz und Energie sowie für Umwelt bereits an diesem Freitag zu Sondersitzungen in der Sache zusammen. Eine Teilnahme von Wirtschaftsminister Habeck galt am Donnerstagabend als wahrscheinlich, wurde aber vom Wirtschaftsministerium noch nicht bestätigt.

Wenn fachliche Expertise parteipolitischen Erwägungen weichen müsse, sei das geeignet, „grundsätzlich das Vertrauen in staatliche Institutionen massiv zu beschädigen“, schreiben die beiden Unionsfraktionsvizes Jens Spahn und Steffen Bilger (beide CDU) in einem Brief an Habeck und Lemke. Die Bundesregierung müsse nun alle Entscheidungs- und Informationsgrundlagen sowie -abläufe öffentlich machen, fordern sie.

Gegenwind bekommt Habeck auch von seinem Koalitionspartner. Der energiepolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Michael Kruse, warf dem Wirtschaftsminister vor, das Land beim Kernkraftausstieg „wissentlich hinter die Fichte geführt“ zu haben. „Ich bin von Robert Habeck enttäuscht, denn den Bürgern dieses Landes und auch seinen Koalitionspartnern wurde die Wahrheit vorenthalten“, sagte der Abgeordnete aus Hamburg. „Wäre es nach Habeck und seinen Leuten gegangen, hätte das Laufzeitende im schlimmsten Moment der Energiekrise stattgefunden. Wir Freie Demokraten haben Schlimmeres verhindert und eine Laufzeitverlängerung bis zum 15. April 2023 durchgesetzt.“

Die FDP hatte lange darauf gedrungen, die drei Atomkraftwerke über das ursprüngliche Ausstiegsdatum hinweg weiterzubetreiben. Am Ende hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit einem Machtwort den Weg für einen Weiterbetrieb aller drei Meiler bis zum Frühjahr im sogenannten Streckbetrieb geebnet.

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